Page 82 - Die Göltzschtaler
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80 Die Göltzschtaler Falkenstein, Ellefeld, Auerbach, Rodewisch – Die Göltzschtalregion zeigt Stärke
Geschichtliches
Aus dem Postkartenbuch „Gruß aus Rodewisch“
von Gerd Bertele & Wolfgang Schwarzer, Verlag briese-werbung
1892 wurde der Verein für
Naturheilkunde (später
Naturheilverein) gegrün-
det, der über viel Grund
und Boden verfügte. 1907
erfolgte die Errichtung eines
Holz-Unterkunftshauses.
Aus dem Walther’schen Archiv, diesmal:
„Der Naturheilverein Rodewisch“ Erkältungskrankheiten, Pilzberatungen, richtige Ernährung,
Den Sachsen sagte man bereits vor über 100 Jahren nach, dass Kindererziehung, Körperertüchtigung, Geburt u.a. wurden gut
sie „Vereinsmuffel“ seien. Damit wollte man ausdrücken, dass angenommen.
sie in ihren Interessengruppen (Vereinen) sehr engagiert seien. Eine Kegelbahn entstand, ein Sportplatz mit Turngeräten stand
Der Zusammenschluss zu Interessengruppen führte bereits zur Verfügung. Ein Sonnenbad, und sogar eine Sauna standen
im 19. Jahrhundert zu Gründung von politischen Parteien und zur Verfügung. Im oberen Teil des Geländes wurden Schreber-
Gruppierungen, die den verschiedensten Interessen nachgin- gärten angelegt, die Mitgliedern zur Verfügung gestellt wurden.
gen. In unserem Heimatort Rodewisch gab es im Jahre 1913 Die Bewirtschaftung des Heimes sorgte zusätzlich für ein reges
bereits 68 Vereine. Das geht aus einer Festschrift hervor. Es Vereinsleben. Schließlich bot der Verein seinen Mitgliedern so-
gab im Ort allein 3 Militärvereine, aber auch 8 Gesangver- gar eine Sterbe-Unterstützungskasse an. Im Jahre 1915 besaß
eine. In den letzteren bildeten sich weitere z. B. Turnvereine der Verein bereits 500 Mitglieder.
und daraus wieder die Freiwillige Feuerwehr. Der aber mit- Der 1. Weltkrieg und die folgende Inflation überstand der Ver-
gliedstärkste aller bisherigen Vereine war der 1892 gegründete ein mit großer Mühe. Im Jahre 1923 wagte man sich notge-
Naturheilverein. drungen an den Bau eines neuen Vereinshauses. Das konnte
In der Zeit der Industrialisierung grassierte die Volkskrankheit aus Geldmangel nur in Eigenhilfe geschehen Der Verein hatte
Tuberkulose. Vor allem in Städten, und Ballungsräumen trat sich zum mitgliederstärksten Verein von Rodewisch entwickelt.
sie verstärkt auf. Unter anderem mit dem Aufenthalt an viel Er zählte fast 1000 Mitglieder. Ihm anzugehören galt fast als ein
„frischer Luft“ wirkte man der Infektionskrankheit entgegen Markenzeichen. Ärzte, Lehrer, Unternehmer, der Bürgermeis-
(Luftkurorte). ter und seine Beamten, Pfarrer, Angehörige des Mittelstandes,
Der Leipziger Arzt Dr. Daniel Schreber wurde zum Initiator Arbeiter und Hausfrauen zählten zu seinen Mitgliedern. Im
der Schrebergärten. Der Priester Sebastian Kneipp widmete Jahre 1932 entstand ein Kriegerdenkmal für gefallene Vereins-
sich dem Naturheilverfahren, speziell den Wasserkuren. Der mitglieder.
Naturheilkundler Vicenz Priesnitz vervollkommnete die Me- Die Vereinstätigkeit wurde ab 1933 dem III. Reich (Hitlerstaat)
thoden von Kneipp. Turnvater Ludwig Jahn, sorgte für sportli- unterstellt. Das nach Machtantritt von Hitler erlassene „Gleich-
che Betätigung im Freien. Die Aktionen aller vier um die Ge- schaltungsgesetz“ brachte die staatliche Bevormundung. Bis
sundheit Bemühten übernahm der Naturheilverein und setzte zum Ende des II. Weltkrieges bestand der Verein. Die sowjeti-
sie in die Praxis um. Das ließ den Verein schnell anwachsen. sche Militäradministration verbot 1945 jegliche Vereinstätigkeit.
1907 besaß er bereits 400 Mitglieder. Der Besitz wurde enteignet. Ihr Vermögen und ihre Chronik
Im Jahre 1904 hatte der Verein das ehemals „Burkerts Piel“ Ge- wurden beschlagnahmt. Das bedeutete den völligen Unter-
lände vom Fabrikbesitzer H. Schöniger an der Oberen Uferstr. gang des einst so bedeutungsvollen und wirksamen Vereins.
gekauft. Auf dem riesigen Gelände wurde das Vereinshaus er- An ihn erinnern nur noch die einst zu ihm hinführenden Stra-
richtet. Das förderte das Vereinsleben sehr stark. Vielbesuch- ßen, die Kneipp- und die Priesnitzstraße.
te Vorträge wurden darin angeboten. Die Vorträge widmeten © Siegfried Walther, 3/2013
sich stets der Volksgesundheit. Themen wie Gebissverfall, Alle weiteren Veröffentlichungsrechte verbleiben der Familie Walther!