Page 89 - Die Göltzschtaler
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Falkenstein, Ellefeld, Auerbach, Rodewisch – Die Göltzschtalregion zeigt Stärke
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           Aus dem Walther’schen Archiv, diesmal:




           Die Advents- und Weihnachtszeit früher
           Mit dem 1. Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Die vor-  einer! Das bedeutete, dass in der Folgezeit ein Familienmit-
           weihweihnachtliche Zeit, die „Ankunft Christi“ war damit an-  glied stürbe. Der Stollengeruch erfüllte das Haus verführe-
           gebrochen. Die heimeligste Zeit in der die Familienmitglieder   risch. Doch nach dem Zuckern wurden sie unter Packpapier
           enger als sonst zusammen rückten, begann damit.   auf dem Kleiderschrank deponiert. Erst zu den Feiertagen
           Sichtbares Zeichen dieser Zeit war der selbst gebundene   wurde der erste angeschnitten. Der Kartoffelkuchen musste
           Adventskranz. Damit holte man sich das draußen vermisste   am Backtag als Ersatz dienen!.
           Grün ins Haus. Mit roten Bändern und ebensolchen Kerzen   Mein Urgroßvater stellte noch in der Wohnzimmerecke das
           hing man ihn an die Zimmerdecke. Das Rot der Bänder und   „Bornkinnel“ auf. Mit Bedauern sprach mein Vater davon,
           der Kerzen symbolisierte die Liebe, das Grün die Hoffnung.   dass die babygroße Porzellanfigur zerbrochen war. Sie stellte
           Die Ringform des Kranzes sollte das Eingehen mit Gott be-  das Jesuskind dar. In der linken Hand hielt es eine Art Reichs-
           zeugen. Jedem Adventsonntag war eine Kerze geweiht.   apfel als Symbol seiner überweltlichen Macht. Der Namen
           Einem Kinderfest glich der Tag, an dem Plätzchen und Pfef-  ging als Synonym auf die Weihnachtsgeschenke über. In der
           ferkuchen gebacken wurden. Die Kinder durften natürlich   Irfersgrüner Kirche befindet sich noch heute eine geschnitzte
           mit helfen. Vom Teig und seinen Zutaten wurde genascht.   Bornkinnelfigur.
           Kaum konnte man es erwarten bis das erste „Blech“ aus dem   Auf Weihnachten musste alles blitzsauber sein. Dazu wurde
           Ofen gezogen wurde. Das Backwerk mit Schokolade, Zu-  das ganze Haus und der Hof auf den Kopf gestellt.
           ckerstreusel und Mandeln zu verzieren galt als Höhepunkt.   Alle „Zutaten“ für die Festessen am Heiligen Abend und den
           Pfefferkuchen zu backen war Ehrensache.           Feiertagen mussten herangeschafft werden. Althergebracht
           Am Barbaratag (4. Dezember) schnitt man Kirsch- oder Ap-  musste das „Neinerlaa“ auf den Tisch gebracht werden.
           felzweige, die bis Weihnachten zum Blühen gebracht wur-  Neun verschiedene symbolkräftige Dinge wurden dazu be-
           den. So holte man sich „ein Stück des Paradieses“ in die   nötigt. Überkommen war dieser Brauch eigentlich aus der
           Stube.                                            Sorbenzeit. Dazu gehörten neben Sellerie, Rote Rüben und
           Am 6. Dezember, dem Sterbetag des heiligen Nikolaus wur-  Sauerkraut, auch Rotkraut und Hirse. Jede Zutat hatte ihre
           de ein Schuh vor die Tür gestellt. War man artig, befand sich   spezielle Bedeutung.
           am Morgen eine Kleinigkeit darin. Nur die Artigen wurden   Am Heiligen Abend schmückte Vater den Baum. Das Wohn-
           belohnt. Man konnte deshalb auch leer ausgehen.   zimmer durfte erst zur Bescherung am Morgen des 1. Fei-
           Vater machte sich daran die „Weihnachtssachen“ vom Boden   ertages wieder betreten werden. Die Mutter hatte mit den
           zu holen. Ohne Beisein der Kinder wurde alles überholt und   Vorbereitungen in der Küche zu tun. Wir Kinder fieberten der
           ergänzt. Vor allem der „Paradiesgarten“ geriet ins Blickfeld.   Bescherung entgegen. So folgsam wie an diesem Tag waren
           Das war ein tischfüllender, eingezäunter Weihnachtsberg.   wir das  ganze Jahr über nicht! Zu Mittag gab es Hirsebrei,
           Im Wohnzimmer war sein Platz neben dem Tannenbaum.   Gräupchen oder Reis mit Gänseklein. Die „quellende Speise“
           In seinem Mittelpunkt befand sich die Krippe. Jahr um Jahr   versprach das Geld über das Jahr zu sichern.
           wurde der „Berg“ durch Steine, Moos und Wurzeln verän-  Am Nachmittag gingen alle Kinder zum Krippenspiel in die
           dert. Auch neue Figuren kamen hinzu. Doch erst kurz vor der   Kirche. Damit wurde uns der eigentliche Sinn des Festes be-
           Bescherung, wurde das große Tuch, unter dem er versteckt   wusst gemacht. Zeitiger als sonst brachte man die Kinder ins
           lag, weggenommen                                  Bett. Die Eltern nutzten diesen Abend um letzte Vorberei-
           Wir Kinder bastelten kleine Geschenke. Wer von uns konnte   tungen zu treffen. In der „Heiligen Nacht“  wechselten die
           schon Weihnachtsgeschenke kaufen? Es war Ehrensache mit   christlichen Bräuche zu den heidnischen über. Ledige Mäd-
           viel Geschick und auch der Hilfe von Erwachsenen die Weih-  chen schüttelten noch vor etwa 100 Jahren ein Obstbäum-
           nachtsgeschenke selbst herzustellen.              chen. Sie glaubten damit „einen Freier herbei zu schütteln“.
           An den Abenden wurde „gelichtelt.“ Im Schein der Kerzen   Es hieß: „Kräht drbei e Hoah, gibt’s en Moah, gackert när e
           wurden Weihnachtslieder gesungen. Dazu wurde Hausmusik   Henn, gibt’s känn!“
           gemacht. Mutter las Märchen vor, oder sie erzählte von ihren   Früher als sonst ging es am Weihnachtstag aus den Betten.
           Kindertagen, dazu dampfte der Räuchermann, und der Duft   Der Mettenbesuch war obligatorisch. Danach trafen sich
           der in der Ofenröhre brutzelnden Bratäpfel erfüllte die Stube.  die Verwandten und Bekannten auf dem Kirchplatz. Die Er-
           Ein weiterer herausragender Tag in der Vorweihnachtszeit war   wachsenen besuchten danach die Gräber ihrer Verstorbe-
           der Tag, an dem Mutter die Stollen buk. Der Teig wurde zu   nen. Nicht selten stellte man ihnen eine Weihnachtslater-
           Hause angerichtet. Die Mandeln und die Rosinen hatten es   ne ans Grab. Zu Hause strahlte alles im Lichterglanz. „Es
           uns Kindern angetan. Doch es war Vorsicht geboten, bittere   ist beschert!“ tönte es laut vernehmbar. Danach wurde der
           Mandeln durfte man nicht erwischen! Natürlich wurde auch   erste Stollen angeschnitten. Wie jedem frischen Brot, strich
           vom Teig stibitzt. War der Teig zum zweiten Mal „gegangen“   man ihm drei Kreuze auf den Boden um für die Folgezeit
           wurde er in Decken gepackt und einem der vielen Bäcker   das Böse abzuwehren. Der 1. Weihnachtsfeiertag war ein
           gefahren. Dort wurde er portioniert und zu einzelnen Stollen   wunderschöner Familientag. Zu Besuch ging man erst am 2.
           geformt. Einem Rest des Teiges wurden mitgebrachte gekoch-  Weihnachtstag.
           te und gequetschte Kartoffeln hinzu gegeben. Das wurde                        ©  Siegfried Walther 12/2011
           vom Bäcker auf ein Blech gewellt und als Kartoffelkuchen   Alle weiteren Veröffentlichungsrechte verbleiben der Familie Walther.
           ausgebacken. Am Abend wurden die Stollen in einem Wä-
           schekorb vorsichtig nach Hause gefahren. Wehe es zerbrach
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