Page 22 - Rodewischer Stadbroschüre 2024
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Rodewisch — Stadt mit wechselhafter Geschichte
      20     Rodewischer Stadtbroschüre


             Ein langer Weg



             Eine lange wechselhafte Geschichte und 2024 feiert Rodewisch 100jähriges Stadtjubiläum













             Aus dem Buch "Gruss aus Rodewisch" (2014) von Gerd Bertele & Wolfgang Schwarzer




















              Ein Blick in die Wernesgrüner Straße: Links das alte Rodewischer Gemeindeamt (ab 1880), welches nach einem Sprengstoffan­
                                                                                       schlag 1921 abgerissen wurde.

             Vom ersten Schritt bis zur Vollendung brauchte es 80 Jahre   sogenannten Gemeindeausschuss-Personen wählten den
             – die Verschmelzung der Rodewischer Rittergutsbezirke zu   Advokaten Theodor Blechschmidt zum Gemeindevorstand,
             einer Stadt zog sich über drei Generationen hin. Bis ein pas-  einer Art Bürgermeister. Im Monat darauf gingen Blech-
             sables Rathaus gefunden war, dauerte ebenso lange.   schmidt und zwei ihm zur Seite gestellte Gemeinde-Älteste
                                                               ans Werk.
             Als in Sachsen 1831 eine neue Verfassung verabschiedet   Der nächste Schritt auf dem Weg zur Einheit ließ dann nicht
             worden war, begann für das Land das Zeitalter der konsti-  lange auf sich warten. Ende 1845 rückten die drei Gemeinden
             tutionellen Monarchie. Das gekrönte Haupt entschied nicht   Niederauerbach, Ober- und Untergöltzsch zu einem „Verei-
             mehr unumschränkt, seine Macht wurde durch eine ge-  nigten Heimatbezirk“ zusammen. Die Gemeinderäte favori-
             schriebene Verfassung (Konstitution) eingeschränkt. Nun   sierten dabei erst mal einen Probebetrieb und begrenzten
             konnten endlich dringend anstehende, umfassende Refor-  das Bündnis auf zehn Jahre. Über die Gretchenfrage jegli-
             men erfolgen. Dazu gehörte neben einer Agrarreform auch   cher Fusionen, wer wieviel Geld mitzubringen hat, einigten
             die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung. Für die   sich die Gemeinden vernunftbestimmt. Jeder
             Landgemeinden trat am 1. Mai 1838 die sächsische Landge-  Bezirk sollte das einbringen, was seine wirtschaftliche Kraft
             meindeordnung in Kraft. Nun war erstmals die Wahl von  hergab: Obergöltzsch jährlich 20 Taler, Untergöltzsch jähr-
             Gemeindevertretern möglich.                       lich 10 Taler und Niederauerbach, finanzstark durch das hier
             Weil Rodewisch sich in die drei eigenständigen Verwaltungs-   ansässige Messingwerk, jährlich 32 Taler.
             und Gerichtsbezirke Niederauerbach, Obergöltzsch  1846 beschloss der „Vereinigte Heimatbezirk“, ein zentrales
             und Untergöltzsch gliederte, denen der jeweilige Ritterguts-  Gemeindehaus zu bauen. Jedoch: Das Vorhaben zog sich
             besitzer als Gerichtsherr vorstand, wählte jede Gemeinde im   hin, denn die drei Gutsherren* stellten sich quer. Den Dorf-
             April 1839 ihre eigenen Vertreter. Man kann allerdings sagen,   Hegemonen ging das Projekt zu weit – sie sahen es nicht
             dass bei diesem ersten ansatzweise demokratischen Geh-  vereinbar mit ihren von Alters her ausgeübten Vorrechten
             versuch in Rodewisch einiges schiefging. Es gab erhebliche   bei der Verwaltung und der Rechtsprechung. Erst das neue
             Einsprüche gegen die Wahl, weil viele Wähler nicht im Bezirk   Gerichtsverfassungsgesetz Sachsens stutzte den Ritter-
             ihres Gerichtsherrn wohnten. Den Protesten folgten jahre-  gutsbesitzern 1855 die Flügel. Die Patrimonialgerichtsbar-
             lange Verhandlungen, sogar die Vogtländische Amtshaupt-  keit, das dem Grundherrn zugestandene Recht, Gericht zu
             mannschaft und die Kreisdirektion Zwickau als übergeord-  halten über alle Insassen seiner Grundherrschaft, gleich
             nete Instanzen waren in diese Streitigkeiten einbezogen.  welchen Standes sie waren, wurde abgeschafft. Stattdessen
             Es kam schließlich im Juni 1844 zur neuerlichen Wahl der   verhandelten und urteilten ab nun erstinstanzlich staatliche
             Gemeindevertreter. 16 Männer wurden bestimmt, diese  Gerichtsämter.

                                                                         *Niederauerbach – Edler von der Planitz, Obergöltzsch – Beust,
                                                                                        Untergöltzsch – Rother (Stand 1858).
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